Adventszeit, frohe Zeit? Nicht wenn man auf den Tod eines lieben Menschen wartet. Weihnachtszeit, besinnliche Zeit? Nicht, wenn Ärzte und
Diakonie helfen, das Lebensende erträglich zu machen. Zwei Tage bis Weihnachten, wird die Mutter das Fest noch erleben? Heute fühlt sie sich schlechter. Schrift und Sprache sind längst im Gehirn zerstört, die Motorik nimmt ab.
Die Diagnose Gehirntumor war schon vor vier Monaten gestellt worden – aussichtslos bei dieser aggressiven Form. Aber heute mussten wir handeln. Wir veranlassten, dass ein Pflegebett in unser Wohnzimmer gestellt wurde,
weil wir sie dann während der Feiertage im Weihnachtszimmer bei uns haben konnten. Ihren wissenden Blick auf das Bett werde ich nie vergessen. Am nächsten Abend baten wir eine befreundete Pfarrerin zu uns zum Haus-Abendmahl im
engsten Familienkreis. Das nahm uns allen den Stress vor dem Unbekannten. Es brachte Frieden in unsere Herzen. Die Nacht verlief ruhig und am Heiligen Abend fühlte sich unsere Mutter recht gut. Die Wintersonne schien durchs
Fenster, Meisen und Kleiber bevölkerten das Vogelhäuschen. Sollten mein Mann und ich es wagen, ein paar Stunden wegzufahren? Meine Mutter wollte uns besondere Krippenfiguren von einem Händler zu Weihnachten schenken, große
Figuren aus Bethlehem in Olivenholz, passend zur Heiligen Familie, die wir schon hatten. Und so fuhren wir los. Den aufgestellten Weihnachtsbaum wollten wir später schmücken. Zum verabredeten Zeitpunkt war der Verkäufer
nicht da. Also warteten wir im Auto auf ihn in einer kleinen Seitenstraße. In unserem Wagen kehrte Ruhe ein. Es lief kein Radio, von außen drang kein Geräusch herein, und wir beide saßen da und erlebten eine absolute Stille,
gepaart mit einem seltsam spürbaren Frieden. Mir kam es vor, als fühlte ich die Weihnachtsengel vom Himmel herabsteigen. Die Uhr schien stehen zu bleiben, das Zeitgefühl war aufgehoben. Nach ca. 15 Minuten oder länger sagten
wir fast gleichzeitig, dass es sich wohl nicht lohnen würde, noch länger zu warten. Schweigend fuhren wir ca. eine Stunde zurück. Mein Bruder kam uns auf der Straße schon entgegen und sagte, dass meine Mutter vor etwa einer
Stunde gestorben sei. Mit friedlichem Gesichtsausdruck fanden wir sie in ihrem Bett aufgebahrt. Die Diakonieschwestern hatten ihr ein Nachthemd angezogen, von dem sie beim Kauf in Vorahnung gesagt hatte: „Das ist mein
Totenhemd“. In mir wirkte die vorher empfundene Stille nach. Ich wusste sofort, dass Gott mich aus der Hektik und dem Trubel des kurzen Todeskampfes herausgenommen hatte. Obwohl ich gerne in den letzten Minuten bei meiner
Mutter gewesen wäre, konnte ich doch danken, dass ihr ein längeres Leiden erspart blieb und sie zu Hause sterben durfte, was unser aller Wunsch gewesen ist. Die Stille der Weihnachtstage tat uns gut,
der Weihnachtsbaum blieb ungeschmückt.
|